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MTV Hernals - die Vereinsgeschichte seit 1885

Die Ausgangssituation: wie das "Turnen" begann

"Turnen" ist ein von Friedrich Ludwig Jahn (1778 – 1852) erfundenes Kunstwort. 1811 eröffnete Jahn auf der Berliner Hasenheide den ersten Turnplatz. Der Pädagoge wusste für seine Ideen zu begeistern, erfand auch einige Turngeräte, beispielsweise den Barren.

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Jahn betrachtete Turnen jedoch nicht als Sport im heutigen Verständnis, sondern verwendete es als Mittel zum politischen Zweck: Er wollte die Wehrtüchtigkeit der deutschen jungen Männer für den Kampf gegen Napoleon stärken. Für seinen Nationalismus erntete Jahn zeitweise großen Erfolg und stieg bis zum Reichstagsabgeordneten auf, verbüßte allerdings auch jahrelange Gefängnisstrafen.

Das Turnen hingegen setzte bald – zum Teil losgelöst von Jahns Ideologie, zum Teil eng mit ihr verbunden – zur weiten Verbreitung durch den deutschen Sprachraum und ganz Europa an, entwickelt sich im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts sogar zur führenden olympischen Weltsportart.



Erste Wurzeln des Turnens in Hernals gehen bis auf 1855 zurück

Ab 1862 wurde in einer 160m² großen „Halle“ am Ziegelofen (dem heutigen Postsportplatz) geturnt. Ein erster „Hernalser Turnverein“ bestand zwischen 1862 und 1866. Im Jahr 1877 turnte eine selbständige Gruppe im Schulsaal der Kalvarienberggasse 33, auch 1883 gab es dort einen Turnbetrieb.

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Um 1880 wurden in den Wiener Vororten und Vordörfern viele Schulen mit Turnsälen neu erbaut. Das bedeutete den Startschuss zur Gründung zahlreicher Vereine. Alleine 1885 entstanden in Wien und Umgebung elf Turnvereine. Nur wenige davon haben bis heute überdauert.

1885 war Hernals mit rund 75.000 Einwohnern das größte Dorf Niederösterreichs (2016 lebten offiziell 56.300 Menschen im 17. Wiener Gemeindebezirk). Damals befand sich das Wiener Großbürgertum in seiner Blütezeit, die Prachtbauten der Ringstraße (Rathaus, Burgtheater, Hofburg) wurden gerade fertig, Johann Strauss‘ „Zigeunerbaron“ wurde uraufgeführt.

Die Lebensverhältnisse in der Arbeiterschaft waren jedoch prekär, von Armut geprägt. So wurde z.B. erst einige Jahre nach der MTV-Hernals-Vereinsgründung die tägliche Arbeitszeit auf 14 Stunden herab gesetzt. Die Gründung der Turnvereine gerade zu dieser Zeit bedeutete sicherlich auch einen Ausdruck von Freiheitsstreben. Es war revolutionär, dass im Turnverein keine Standesunterschiede existierten, sich der Arzt und der Arbeiter gleichberechtigt mit „Du“ und „Turngenosse“ ansprachen.



18. Mai 1885: Der Geburtstag des MTV Hernals

18. Mai 1885: Der Geburtstag des MTV Hernals

Am 10. März 1885 erfolgte der erste Versuch, den MTV Hernals zu gründen. Doch die k.u.k. NÖ Statthalterei lehnte dies vorerst ab. Erst nach einem erfolgreichen Einspruch kam es am 18. Mai 1885 in der Bergsteiggasse 37 zur gründenden Hauptversammlung. 25 Personen waren die ersten Mitglieder des "Männer Turnverein in Hernals".

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Als erster Obmann fungierte der praktische Arzt Dr. Eduard Hille, als erster Turnwart der Goldschmied Josef Ungrad, der später dem Verein sein Haus und Grundstück in der Jörgerstraße vermachen sollte. Schon am 3. Juli 1885 veranstaltete der MTV Hernals sein erstes Schauturnen auf einem von einem Mitglied bereit gestellten Gartengrundstück. Schulturnsäle konnten bereits bald nach der Gründung benützt werden.

Warum ein „Männer“turnverein?

So seltsam es klingt, aber die Betonung der „Männer“ im Vereinsnamen ist 1885 fast so etwas wie feministisch. Denn bis dahin ist Turnen quasi selbstverständlich ausnahmslos Männersache – und das muss nicht einmal extra betont werden. Dass die Hernalser Turner darauf hinwiesen – und sich bald darauf als einer der ersten Turnvereine überhaupt den Frauen öffneten – zeugte von einem viel moderneren Geschlechterrollenverständnis, als es der erste Blick konträr dazu vermuten lässt.

Das soll aber nicht darüber hinweg täuschen, dass im damaligen MTV Hernals massiver Deutsch-Nationalismus ein bestimmendes Merkmal war. Aufnahmekriterium war zum Beispiel schon lange vor den Nationalsozialisten die „arische Abstammung“. Ein Lichtblick: Manchen Mitgliedern war der MTV viel zu liberal, sie gründeten daher 1888 ihren eigenen „Turnverein Friesen Hernals“.

Das Turnen selbst war noch um die Jahrhundertwende alles andere als ein modernes Bewegungsangebot im heutigen Sinn: Nur Ordnungsübungen (prämilitärisches Exerzieren), sehr statische Freiübungen und eher schwungloses Gerätturnen mit militärischer Haltung standen auf dem Programm. Offenbar wurde mehr Wert auf Ordnung, als auf Freude an der Bewegung gelegt. Man kannte es eben noch nicht anders – die Sache begeisterte aber trotzdem schon nachhaltig.




Am Weg zur ersten Hochblüte zwischen den Weltkriegen

Am Weg zur ersten Hochblüte zwischen den Weltkriegen

1887 begann der Turnbetrieb in einer MTV-Hernals-Zweigstelle Dornbach-Neuwaldegg“, d.h. konkret in der Knaben-Volksschule in der Gemeindegasse.
1889 wurde die neue Vereinsfahne geweiht. Am Festzug nahmen unter anderem elf Fiaker, 28 Ehrenjungfrauen, fünf Gesangs-, drei Geselligkeits- und dreizehn Turnvereine teil… Der MTV Hernals hatte damals bereits 150 Mitglieder.

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Ab 1891 veranstaltet der MTV für die Hernalser Gewerbeschüler zehn Jahre lang zwei Mal wöchentlich kostenlose Turnstunden, die von allen Lehrlingen besucht werden.

Ab 1899 wird der Vereinsbetrieb für Frauen regelmäßig durchgeführt und kontinuierlich erweitert. Im selben Jahr, beim 10-jährigen Jubiläumsfest des „Wiener Cyclistenvereines“ (Radlfahrer), beeindruckt der MTV mit einer von ihm entwickelten Turngeräte-Innovation, dem dreiholmigen Barren…

Noch vor dem Ersten Weltkrieg setzte vielerorts ein Umdenken über den Sinn der Leibesübungen ein und der MTV Hernals reagierte rasch. Man nahm Gesundheitsturnen, Spiele und nicht zuletzt Leichtathletik („volksthümliche Übungen“) in das Programm auf.  Die Turnstunden fanden zu dieser Zeit in der Schule Kalvarienberggasse 33 und – wie heute – in der Bürgerschule Geblergasse 31 statt.

1910 gehörten dem Verein rund 250 Mitglieder an, darunter ein Viertel Frauen. Der MTV Hernals war zu jener Zeit im politischen Beziehungsgeflecht sehr gut vernetzt. Ein Wiener Stadtrat, ein niederösterreichischer Abgeordneter und der Hernalser Bürgermeister hatten Funktionen im „Turnrat“ (Vorstand). Auch diese waren mit allen Vereinsmitgliedern per Du, während sie von ihren Kindern zuhause noch gesiezt wurden.

1913 schienen in den Teilnehmerlisten des MTV Hernals erstmals schulpflichtige Kinder auf, die ein Zehntel der Gesamtmitglieder ausmachten (davor wurden diese nicht eigenständig erfasst bzw. aufgezeichnet).

Nach dem ersten Weltkrieg wurden die Jahre 1920 bis 1934 zum bis heute zahlenmäßigen Höhepunkt der Geschichte des MTV Hernals. Fast tausend Hernalser/innen turnten regelmäßig in über 60 Riegen und Gruppen.

1926 erschien erstmals eine Vereinszeitung – gleich mit zweitausend Exemplaren Auflage. Für die MTV-Hernals-Schauturnen erwiesen sich der eigene Platz und die in Hernals verfügbaren Säle längst als viel zu klein. Man mietete dafür den Sportklub-Fußballplatz und die größten Wiener Veranstaltungshallen.

Leichtathletik und Schwimmen, Skilauf, Wandern und Bergsteigen bildeten in der Zwischenkriegszeit neben dem Gerätturnen die sportlichen Schwerpunkte. Das Frauenturnen fand in dieser Zeit verstärkt zu neuen Formen bis hin zu ausdruckstänzerischen und gesundheitsfördernden Angeboten reformpädagogischen Zuschnitts. 1930 bestand der „Männerturnverein“ bereits zur Hälfte aus Frauen.

Noch etwas ist bemerkenswert: Der MTV Hernals machte sich zu jener Zeit zusätzlich als Veranstalter zahlreicher hochstehender kultureller Ereignisse wie Beethoven-, Schubert oder Wagner-Abenden mit Solisten der Wiener oder Bayreuther Oper einen Namen. Das alles, man sollte es nicht übersehen, in einer Zeit schwerster wirtschaftlicher Depression und des politischen Umbruchs, den rasch auch der MTV Hernals zu spüren bekam.




1936/1937: Die Errichtung der eigenen Turnhalle

1936/1937: Die Errichtung der eigenen Turnhalle

1933 wurde dem MTV Hernals von der austrofaschistischen Ständestaat-Regierung verboten, Kinderabteilungen zu führen. 1934 wurde der Verein gänzlich verboten (aufgrund seiner nationalsozialistischen Gesinnung, unter den Bundeskanzler-Dollfuß-Attentätern sollen auch Mitglieder des MTV Hernals gewesen sein), ein Jahr darauf unter kommissarischer Leitung wieder erlaubt. Allerdings durfte man nun keine Schulturnsäle mehr benützen. Was also tun?

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Heutzutage ist es kaum vorstellbar, doch zwischen September 1936 und Februar 1937 bauten die Vereinsmitglieder eigenhändig in ihrer Freizeit die heutige Turnhalle in der Jörgerstraße 36, spendeten zum Teil sogar das Baumaterial. Dennoch musste für den Großteil des Materials ein Kredit aufgenommen werden, der in den folgenden acht Jahren (während des Weltkrieges…) zurückgezahlt wurde, obwohl es den Verein nach seiner Auflösung ab 1938 offiziell gar nicht mehr gab.




1938 Auflösung, 1952 Wiedergründung

1938 Auflösung, 1952 Wiedergründung

Bald nach der Annexion Österreichs durch Hitler-Deutschland im März 1938 verlor der MTV Hernals – so wie alle anderen Vereine – seine Selbständigkeit und wurde zwangsweise aufgelöst. Der damalige Obmann Andreas Resch nahm sich (so sagt man) deshalb das Leben. Doch die Vereinsgemeinschaft hielt trotzdem durch die Verbots- und Kriegsjahre.

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Am 23. November 1952 war es dann soweit: Der MTV Hernals wurde wiedergegründet und nahm gemeinsam mit dem Ottakringer Turnverein einen provisorischen Übungsbetrieb auf.



Bis 1974: Sportlicher Niedergang, erfolgreicher Kampf ums Vereinseigentum

Bis 1974: Sportlicher Niedergang, erfolgreicher Kampf ums Vereinseigentum

In den beiden Jahrzehnten nach der Wiedergründung wurde im MTV Hernals insgesamt leider wenig geturnt. Dafür kämpfte der Vorstand gegen starke politische Widerstände um die Rückgabe des beschlagnahmten Vermögens und der Liegenschaft in der Jörgerstraße 36. Diese war von der staatlichen Nachkriegsverwaltung dem Wiener Arbeiterturnverein zuerkannt worden, der alles an die Kommunistische Partei vermietet hatte.

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1974 befand sich der MTV Hernals auf seinem sportlichen Tiefpunkt. Nur 80 Personen zählte man damals als Mitglieder (davon 39 Kinder). Doch die Talsohle war erreicht: Ein Generationswechsel in der Vereinsleitung brachte frischen sportlichen Wind und attraktive neue Angebote.

Und endlich – fast 30 Jahre nach Kriegsende und als letzter Verein in ganz Österreich – erhielt der MTV Hernals seine enteignete Turnhalle, seinen Freiplatz und sein Haus wieder zurück: Fast abbruchreif, völlig heruntergekommen, dringendst renovierungsbedürftig, alle Geräte verschwunden (die wären jedoch schon museumsreif gewesen).

Alles in der Folge zu revitalisieren und wieder in Schwung zu bringen bedeutete für die damalige Vereinsleitung im Team um Erich Zöttl (Obmann), Rechtsanwalt Dr. Peter Nickl (Stv.), Christa Dobler (als einzige heute noch im Vorstand) und dem späteren Obmann Harald Labner (damals neuer sportlicher Leiter) einen immensen ehrenamtlich zu bewältigenden Kraftakt.




Vom Neustart bis zum erfolgreichsten Gerätturn-Verein Österreichs

Vom Neustart bis zum erfolgreichsten Gerätturn-Verein Österreichs

Schon 1975 wurde die vereinseigene Tennisanlage hinter der Sporthalle im Innenhof der Jörgerstraße 36 eröffnet und war in diesen Tennis-Boomjahren bald bis auf die letzte Spielzeit ausgebucht.

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1979 verzichtete die KPÖ gegen eine Ablösezahlung endlich auf ihr Mietrecht im Vereinshaus, die umfassende Renovierung konnte in Angriff genommen werden. Im Sportbetrieb erfolgte ab Mitte der 1970er-Jahre ein kontinuierlicher Entwicklungsschritt auf den anderen, eine durchwegs positive Entwicklung vom Fitness- bis zum Leistungssport setzte ein.

Bis zur 100-Jahr Feier 1985 verdreifachte sich die Mitgliederzahl des MTV Hernals. Ebenso verdreifachte sich die Anzahl der Sporteinheiten in diesem Jahrzehnt, diejenige der Übungsleiter/innen und Trainer/innen stieg sogar auf das Vierfache. In der Jahreswertung der 33 Wiener ÖTB-Vereine fand man den MTV Hernals 1974 nur auf Rang 29, in der Folgezeit kletterte er bis auf Rang 1 hinauf.

Dieser Trend setzte sich in den 1990er- und 2000er-Jahren fort. Die besten Turner/innen des MTV Hernals qualifizierten sich für den Wiener Kader und schafften es ins Wiener Aufgebot bei den Österreichischen Meisterschaften. Noch eine Generation später folgten die ersten Medaillen und schließlich Siege bei österreichischen Kunstturn-Meisterschaften sowie die ersten Mitgliedschaften in den ÖFT-Kadern. Im Orientierungslauf ging die Reise sogar bis hinauf zu EM- und WM-Starts in Altersklassenbewerben.

Seit 2000 führt der MTV Hernals das „Turnverein-Gütesiegel“ (es bewertet das Breitensportangebot, den Wettkampferfolg, die Trainerkompetenz und die Infrastruktur) jährlich ohne Unterbrechung in der bestmöglichen Kategorie mit fünf Sternen. Schon seit 2006 tragen darüber hinaus alle Fitness- und gesundheitsorientierten Bewegungsprogramme des MTV Hernals das „Fit Sport Austria“-Gütesiegel Der ÖFT gibt jährlich eine Gütesiegel-Punkterangliste heraus, in dieser ist der MTV Hernals seit 2013 die Nr. 1 in Wien und lag bereits mehrfach in den Top10 von ganz Österreich.

Im „Turn10“-Programm (der „zweiten Liga“ des Turnens unter dem Spitzensport Kunstturnen) erwies sich der MTV Hernals 2014 in der Medaillenbilanz der Österreichischen Meisterschaft erstmals als der erfolgreichste aller Vereine im Mädchen-Gerätturnen. Diese Position wurde 2015 und 2016 gehalten und 2017 sogar auf die Gesamtwertung inkl. Burschen ausgebaut: In Foge auch 2018 und 2019 war/ist der MTV Hernals Österreichs Erfolgs-Nr. 1 im Kinder- und Jugend-Gerätturnen!